Jedes Unternehmen freut sich, wenn es vielversprechende Auszubildende gefunden hat. Doch besteht immer die Gefahr, dass ein:e Azubi vorzeitig – oft noch während der Probezeit – die Lehrstelle wieder verlässt oder die Ausbildung gar ganz abbricht. Der aktuelle Bericht des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) belegt das: Rund 25 Prozent der Ausbildungsverträge werden vorzeitig aufgelöst – und das mehrheitlich deshalb, weil es für die Azubis im Lehrbetrieb strukturell und zwischenmenschlich nicht gepasst hat.
Oft liegt das an einem schlechten oder nicht vorhandenen Onboarding-Prozess. Ein professionelles und wertschätzendes Onboarding sorgt dafür, dass sich neue Mitarbeiter:innen vom ersten Arbeitstag an im Unternehmen wohl fühlen. Und es ist die Grundlage dafür, dass Auszubildende optimal in ihren Lehrberuf hineinfinden.
Im Folgenden lesen Sie, wie Sie mit einem gelungenen Onboarding einen vorzeitigen Ausbildungsabbruch verhindern. Und wie Sie sicherstellen können, dass die Ausbildung in Ihrem Betrieb positiv für beide Seiten verläuft.
Gute Gründe für einen guten Onboarding-Prozess
Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Tag im Berufsleben? Haben Sie vielleicht selbst eine Ausbildung gemacht und wissen noch genau, wie unsicher und verloren Sie sich manchmal als Lehrling oder „Stift“ gefühlt haben? Und vielleicht auch daran, wie Ihnen Ihr Chef, eine Mentorin oder andere freundliche Mitarbeiter:innen über Unsicherheiten und Ängste hinweggeholfen haben?
Ganz klar: Neue Auszubildende im Betrieb wollen und sollen an die Hand genommen werden – genau dafür ist die Phase der Einarbeitung da. Der Begriff Onboarding bezeichnet passenderweise das „An-Bord-Nehmen“ neuer Mitarbeiter:innen. Und die Qualität der Einarbeitung, die einige Wochen bis Monate dauern kann, entscheidet wesentlich darüber, ob sich Lehrlinge gut im Unternehmen einleben und sich mit dessen Arbeitsweisen, Zielen und Werten identifizieren können. Eine umfassende Einarbeitung motiviert und beflügelt neue Mitarbeiter:innen – egal ob Lehrling* oder berufserfahren.
Ein guter Onboarding-Prozess kann einen Ausbildungsabbruch verhindern.
Denn ohne eine strukturierte Einarbeitung
- brauchen neue Mitarbeiter:innen mehr Zeit, um sich im Betrieb und in seinen Aufgaben zurechtzufinden,
- passieren unnötige Fehler und damit ist die Qualität der Arbeit beeinträchtigt,
- brauchen beide Seiten länger, um herauszufinden, ob man langfristig zusammenarbeiten möchte,
- fühlen Mitarbeiter:innen sich wenig wertgeschätzt – oft auf Kosten ihres Engagements und ihrer Motivation.
100 Onboarding-Tage können 1000 Ausbildungstage prägen
In den ersten Wochen und Monaten, also in den ersten rund 100 Tagen mit neuen Azubis, wird der entscheidende Grundstein für eine tragfähige Ausbildung gelegt. Ein Ziel ist, das nötige fachliche und unternehmensinterne Basiswissen zu vermitteln. Und es geht darum, die neuen Kolleginnen und Kollegen sowie die neuen Aufgaben nach und nach kennenzulernen.
Für die meist noch sehr jungen Lehrlinge ist es eine aufregende Zeit. Umso wichtiger ist es, sie ab dem ersten Arbeitstag so schnell und fest wie möglich ins bestehende Team und in seine neuen Aufgaben zu integrieren. Das tut nicht nur den Azubis, sondern auch dem gesamten Team gut. Und es trägt dazu bei, Fehler, Störungen und Konflikte zu vermeiden.

Ziel 1: Azubis sofort ans Unternehmen binden
Idealerweise haben Arbeitgeber und Auszubildende:r schon während des Auswahlprozesses alle wesentlichen Fragen der Zusammenarbeit geklärt. Auf keiner Seite sollten falsche Vorstellungen bestehen. Der Ausbildungsvertrag ist unterzeichnet – ab jetzt läuft der eigentliche Onboarding-Prozess, auch wenn es bis zum ersten Arbeitstag noch einige Wochen dauert.
Halten Sie Kontakt! Wenn Sie bis zum Start der Lehre nichts mehr von sich hören lassen, fühlt sich der/die Auszubildende schnell abgemeldet. Das kann ihn/sie verunsichern, vielleicht springt er/sie schon vor dem Start wieder ab.
Die richtigen Onboarding-Maßnahmen vor dem Start
- Senden Sie künftigen Azubis direkt nach Abschluss des Ausbildungsvertrags alle wichtigen Informationen und Unterlagen zu – am besten mit einem freundlichen Willkommensschreiben. Zeigen Sie, dass Sie sich auf die Zusammenarbeit freuen. Teilen Sie bei dieser Gelegenheit alles Wichtige zum Ablauf des ersten Arbeitstages und der ersten Ausbildungswoche mit. Viele Unternehmen verfügen auch über „Willkommensmappen“, die postalisch oder auch digital verschickt werden können. Darin befinden sich alle ausbildungsrelevanten Unterlagen, etwa der Ausbildungsplan, Hinweise zu Rechten und Pflichten sowie zu Arbeitszeiten, Urlaubsregelungen usw., Infos und Tipps zur Berufsschule, Namen wichtiger Ansprechpartner (gerne mit Fotos) u. v. m. Auch die ausdrückliche Ermunterung, Sie bei Fragen aller Art zu kontaktieren, sollte nicht fehlen.
- Haben Sie einen internen Newsletter? Dann nehmen Sie künftige Azubis gleich in die Verteilerliste auf. Auch in Ihrem Intranet oder der Mitarbeiterapp können Sie sie gleich freischalten.
- Sie kennen den Geburtstag Ihres neuen Lehrlings – sollte dieser zwischen der Vertragsunterzeichnung und dem Ausbildungsstart liegen, senden Sie herzliche Grüße! Gleiches gilt natürlich für die Weihnachts- oder Ostertage.
- Falls in dieser Zwischenphase ein Betriebsfest oder Teambuilding-Event stattfindet: Laden Sie Ihre angehenden Azubis ein.
- Nutzen Sie schließlich die Zeit, um alle vorbereitenden Maßnahmen für den Start Ihrer neuen Auszubildenden anzustoßen. Dazu gehört insbesondere, den Arbeitsplatz mit der vollständigen Ausstattung einzurichten. Ebenso die nötigen Zugänge zu Software- und IT-Systemen.
- Die wichtigsten Ansprechpartner festlegen. Viele Unternehmen stellen neben Ausbildern auch Mentoren zur Seite. Sprechen Sie mit Ihrem Team, um über den neue Auszubildende zu informieren.
Übrigens: Hilfreich in dieser Phase ist die Einarbeitung nach Plan mithilfe einer Onboarding-Checkliste. Solche Listen lassen sich im Rahmen Ihrer Onboarding-Prozesse immer wieder nutzen. Die Onboarding-Checkliste enthält alle wesentlichen Maßnahmen für die Einarbeitung neuer Auszubildender.
Wenn Sie zu den schnell wachsenden Unternehmen gehören und viele Neueinstellungen haben, legen Sie auch ein Onboarding-Wiki im Intranet an. So dokumentieren sie den gesamten Prozess der Einarbeitung nachhaltig.
Onboarding für Auszubildende – Phase 1: Herzlich willkommen!
Am ersten Tag der Ausbildung ist es soweit: Die Phase der Einarbeitung und Orientierung beginnt. Am besten damit, dass das Team die Azubis willkommen heißt. Nehmen Sie sich Zeit für das Kennenlernen im Team. Das hilft dem oder der „Neuen“, Ängste und Nervosität abzulegen. Das nächste Ziel ist, das neue Teammitglied Schritt für Schritt einzuarbeiten.
Erklären Sie die Organisationsstruktur des Unternehmens sowie die Abläufe im Rahmen der Lehre. Das obliegt natürlich vor allem den Personen, die vorab als Zuständige festgelegt wurden, z. B. Ausbildern, die die Azubis auf dem Weg in den Lehrberuf kontinuierlich begleiten, oder ein Ausbildungs-Pate.
Am Ende dieser ersten Einarbeitungsphase sollte die neuen Azubis sich gut an ihrem Arbeitsplatz zurechtfinden und grundlegend wissen,
- wer für was der wichtigste Ansprechpartner ist,
- wie die Struktur der Arbeitstage ist (z. B. hinsichtlich Zeiterfassung, Pausenregelungen, Home-Office etc.)
- welche Projekte gerade laufen und welche am wichtigsten sind
Wichtiges Element im Onboarding-Prozess: mit Azubis sprechen
Nach dem ersten Tag, spätestens aber am Ende der ersten Woche ist ein Gespräch mit der Führungskraft sinnvoll. Hier kann die oder der Auszubildende von seinen ersten Eindrücken und Erfahrungen mit dem Team erzählen. Umgekehrt hat sie oder er erfahren, wie die Vorgesetzten und das Team sie oder ihn wahrnehmen. So lassen sich Erwartungen und Wünsche austauschen und offene Fragen beantworten.
Ganz wichtig: Auszubildenden so schnell wie möglich die Kultur und die Spielregeln im Betrieb vermitteln. Alle Mitarbeiter:innen tragen dafür Verantwortung und repräsentieren die Unternehmenskultur.
Wenn Lehrlinge sich am Ende der ersten Arbeitswoche zufrieden fühlen und Lust haben, jeden weiteren Morgen an ihren Arbeitsplatz zu kommen, ist die erste Phase der Einarbeitung schon geglückt!

Onboarding für Auszubildende – Phase 2: Integration
Ein guter Onboarding-Prozess endet nicht nach wenigen Tagen. Entwickeln Sie einen Plan mit Aufgaben für die gesamte Probezeit, die ein bis vier Monate dauern kann. Dabei ist es als Ausbilder:in bzw. Vorgesetzte:r Ihre Aufgabe darauf zu achten, dass Ihr Azubi motiviert bleibt, seine Stärken voll ausschöpft und gemeinsam mit Ihnen an seinen Schwächen arbeiten darf. Dazu braucht es den laufenden Austausch mit allen Mitarbeitern:innen im Betrieb, die direkt mit der oder dem Auszubildenden zusammenarbeiten.
Die kontinuierliche Kommunikation ist grundlegend wichtig. Zweifel an der Lehre oder an der Eignung für den Beruf, die die jungen neuen Mitarbeiter:innen immer wieder überfallen, aber auch andere Probleme oder Konflikte können hier auf den Tisch kommen. Als Beurteilungsgespräche bieten sie aber auch Gelegenheit zu gegenseitigem Feedback und zur Planung weiterer Ausbildungsziele und Aufgaben. Wenn sie offen verlaufen, entsteht Vertrauen – und wer seinem Arbeitgeber und seinen neuen Kolleg:innen vertraut, bricht nicht so schnell seine Ausbildung ab, auch wenn es mal schwierig wird.
Digitales Onboarding – Einarbeitung für die Zielgruppe Azubis
Willkommens- und Einarbeitungsmappen auf Papier haben sich vielfach bewährt und im Onboarding-Prozess immer noch ihren festen Platz. Daneben kommt zunehmend auch das digitale Onboarding, oder auch ein „Blended Onboarding“ , zum Einsatz. Dabei handelt es sich um die Verbindung von Online- und Präsenzkursen, um neue Mitarbeiter:innen einzuarbeiten.
Die heutigen Auszubildende gehören zu den Digital Natives. Sie sind mit den entsprechenden Technologien aufgewachsen, nutzen sie selbstverständlich und problemlos. E-Learning gegenüber – besonders wenn es ansprechend und unterhaltsam gestaltet ist – sind sie besonders aufgeschlossen. Zugleich lehnt zumindest ein Teil von ihnen Printmedien eher ab. Daher können digital gestützte Einarbeitungssysteme für die jüngeren Generationen besonders gewinnbringend sein.
Ausbilder:innen und Kolleg:innen bringt das eine Entlastung. Schließlich müssen Sie neben der Wissensvermittlung und der weiteren Unterstützung der Nachwuchs-Mitarbeiter:innen auch noch den üblichen Betriebsablauf sicherstellen. Digitale Einarbeitung, die zu einem guten Teil aus Selbstlern-Phasen der Auszubildenden besteht, kann den Zeitaufwand erheblich reduzieren.
Jedoch sollten Sie natürlich auch beim Einsatz von digitalen Onboarding-Tools den persönlichen Austausch nicht vergessen!
Fazit: Onboarding für Azubis ist Chefsache!
Wenn Sie Ihre Auszubildenden kaum oder gar nicht kennen, wenn die Einarbeitung ausschließlich der Personal- bzw. HR-Abteilung überlassen bleibt oder Sie selbst Onboarding gar nur für ein notwendiges Übel halten, werden sich Ihre Azubis kaum wertgeschätzt fühlen. Nur wenn Sie sich als Führungskraft aktiv in die Einarbeitung Ihrer Auszubildenden einbringen und sie wertschätzend auf ihrem Weg begleiten, schaffen Sie einen erfolgreichen Onboarding-Prozess. Er ist damit die Grundlage für eine erfolgreiche Ausbildung und vielleicht auch für eine langjährige gute Zusammenarbeit - über die Ausbildung hinaus.
* Wir verwenden in diesem Text zusätzlich auch die Begriffe Lehrling und Lehre, da diese in vielen Ausbildungsbetrieben – vor allem im Handwerk – bis heute geläufig sind und im Alltag von Ausbildern und Auszubildenden angewendet werden.
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